Liebe Mitmenschen, liebe Unterstützer, 

mein Name ist Ismet Tekin. Neben mir steht mein Bruder Rifat.

Wir sind Überlebende des Anschlags vom 09. Oktober 2019 in Halle. Jana L. und Kevin S. haben diesen Tag nicht überlebt. Ich würde Euch daher darum bitten, eine kurze Schweigeminute für die Opfer einzulegen.

Vielen Dank!

Heute vor Euch zu sprechen, fällt mir nicht leicht, auch wenn ich mittlerweile geübter darin bin, Interviews zu geben. Es kostet mich viel Kraft, gemeinsam mit meinem Bruder hier zu stehen.

Wir stehen hier, atmen und unsere Herzen schlagen wie immer. Unsere Körper sind unversehrt, aber unsere Seelen sind es nicht. Seit dem Anschlag kämpfen wir mit den mentalen Folgen. Mein Bruder Rifat, war früher immer fröhlich und hat uns zum Lachen gebracht. Das ist nun anders. Seither haben wir keinen unbeschwerten Tag und keine ruhige Nacht mehr erleben können. Die Todesangst, die Sorge um einander, die bangen Stunden der Ungewissheit und die große Trauer, um den Verlust zweier unschuldiger Menschen begleiten uns jede Sekunde. Es gab ein Leben vor dem Anschlag und es gibt nun ein anderes Leben.

Auch unsere Arbeit im Kiez-Döner ist nicht dieselbe, die sie mal war. In unserem Laden wurde ein junges Leben ausgelöscht. Kevins Tod hat uns schwer erschüttert. Der Kiez-Döner ist damit auch eine Art Gedenkstätte geworden. Eine Gedenkstätte für die Opfer des feigen, rechtsextremistischen Anschlages v. 09. Oktober 2019. Mein Bruder und ich möchten diesen Laden erhalten, auch um Kevins Andenken zu wahren. Wir möchten, dass dieser Laden im Herzen Halles bestehen bleibt und nicht dem Willen des Attentäters entsprechend verschwindet und „ausgelöscht“ wird. Wir möchten uns nicht vertreiben lassen.

Für den Bestand des Ladens werden wir mit all unserer Kraft kämpfen. Das verspreche ich. Ich weiß, dass viele Menschen in Halle das genauso sehen. Auch sie wollen nicht, dass der Kiez-Döner verschwindet. Und doch kommen nur noch wenige Gäste in unseren Laden. Die Politik hat uns Hilfe versprochen. Und doch bekommen haben wir sie nicht. Wir haben auch bei der Stadt und dem Oberbürgermeister um Hilfe gebeten. Auch sie waren nicht solidarisch. Wir wurden einfach mit unseren Problemen allein gelassen.

Ich wollte mich diesem Verfahren als Nebenkläger anschließen, denn die Schüsse des Attentäters haben mich nur knapp verfehlt. Doch die Bundesanwaltschaft war dagegen. Das Gericht hat mich abgewiesen. Sie sagten, der Attentäter wollte mich nicht töten. Ich wünschte, es wäre so gewesen. Dann hätte ich vielleicht diese Albträume nicht mehr. Erst am Freitag wurde ich zugelassen. Warum macht man es mir noch schwerer, als es ohnehin schon ist?

Es ist etwas kaputt gegangen in unserem Verhältnis zu diesem Land. Vor 12 Jahren kam ich nach Deutschland, mit nur wenigen Worten Deutsch im Gepäck und einer vagen Vorstellung, wie mein Leben hier sein könnte. Ich habe Deutschland und insbesondere Halle bis zum Tag des Anschlages auf die Synagoge und uns immer als einen weltoffenen und freundlichen Ort wahrgenommen. Ich habe bis zum 09. Oktober 2019 hier nie Ausgrenzung, Diskriminierung und Hass erlebt.

Und niemals hätte ich mir vorstellen können, dass tatsächlich jemand auf die Idee kommen könnte, mich und meinen Bruder umzubringen, allein weil wir Muslime sind. Niemals hätte ich gedacht, dass man unsere jüdischen Mitbürger attackieren würde. Warum sollte man uns denn auch hassen? Wir sind doch keine Kriminellen oder Banditen! Wie naiv von mir. Naiv, weil ich nicht wissen und sehen wollte, was sich vor unser aller Augen seit Jahren ausbreitet: Rassismus, Juden- und Islamhass, Verachtung für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, für Flüchtlinge, Obdachlose, Sinti und Roma.

Ich frage diejenigen, die den Hass in ihren Herzen tragen: Wieso stört euch unser Glaube? Wieso hasst ihr uns so sehr? Warum können wir nicht einfach zusammenleben?

Dieser Prozess ist sehr wichtig für uns. Wir wollen wissen, woher der Hass und die Kaltherzigkeit des Täters kommen. Wir wollen wissen, wie er zu dem wurde, was er wurde und weshalb die Gesellschaft ihn nicht daran gehindert hat, diesen unseligen Weg zu gehen. Wir wollen wissen, ob er Unterstützer und Mitwisser oder auch nur Gleichgesinnte hatte.

Schließlich habe ich den Wunsch, dass auch das Verfahren meinem Bruder und mir dabei hilft, wieder mit Leichtigkeit und Zuversicht durch dieses Leben zu gehen. Ich habe die Hoffnung, dass es einmal werden kann, wie es war. Lasst uns alle gemeinsam daran arbeiten. Lasst uns in Frieden und Freundschaft zusammenleben.

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit!